Theater, Konzertsäle und Ausstellungsräume sind nun rund ein Jahr fast dauerhaft geschlossen. Vertreter*innen von Kunst und Kulturinstitutionen beklagten auf unserer Online-Podiumsdiskussion am 29. März 2021 fehlende Perspektiven und forderten differenzierte Öffnungsstrategien.
Nach einem Jahr Corona-Pandemie stelle sich ein Vergeblichkeitsgefühl ein, berichtet Dr. Kathrin Mädler. Als Intendantin des Landestheaters Schwaben in Memmingen haben sie und ihr Team unentwegt weitergearbeitet, geprobt, Produktionen fertig gestellt und auf Öffnungen hingearbeitet. Die künstlerische Arbeit werde allerdings oft vom Krisenmanagement verdrängt, dabei könne die Kunst wertvolle Beiträge zur Krisen- und Traumabewältigung leisten.
Auf für die Musikerin Johanna Langer und den Chorleiter Jürgen Brennich stellt die Absage von Auftrittsmöglichkeiten eine große Herausforderung dar. Sie erzählen von den Schwierigkeiten, ein musikalisches Niveau zu halten, wenn Proben nur unter erschwerten Bedingungen möglich sind und die Perspektive fehlt, auf Auftritte hinzuarbeiten. Gerade für Berufsmusiker*innen ist die Pandemie auch ein finanzielles Desaster. Johanna Langer ist in ihrer Veranstaltungsagentur moonlight vor allem mit Absagen beschäftigt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Veranstaltungen seien derzeit nicht kalkulierbar. Mit klaren Regeln und aufwendigen Auflagen könne man umgehen und sichere Veranstaltungen durchführen, aber das Hin-und-her der Regelungen zerstöre jegliche Planungssicherheit.
Für Solo-Selbstständige, die finanziell auf Auftritte angewiesen sind, ist die Situation ohne verlässliche Perspektive in vielen Fällen nicht mehr tragbar, berichtet Brennich. Staatliche Leistungen seien viel zu spät gekommen und teilweise gar nicht, viele Betroffene haben bereits umgesattelt. In der freien Kunst- und Kulturszene werde es einen Verlust an Vielfalt durch die Pandemie geben, befürchtet Dr. Kathrin Mädler, aber auch öffentlich geförderte Institutionen sind darauf angewiesen, dass der hohe gesellschaftliche Wert von Kunst und Kultur auch bei pandemiebedingt klammen Haushalten in den nächsten Jahren noch gewürdigt wird.
Verfassungsrang von Kunst und Kultur ernst nehmen
Im Vergleich zur darstellenden Kunst habe die bildende Kunst immer schon stärker in Rückzugsräumen wie dem Atelier stattgefunden und sei nicht so direkt auf Publikumspräsenz angewiesen, erklärt der freie Künstler Adi Hoesle. Für seine Arbeit habe der Lockdown keine direkte negativen Auswirkungen gehabt: „Ich habe das zunächst sogar als sehr entspannend empfunden. Ich war unheimlich produktiv und kreativ mit Dingen, an denen ich immer schon arbeiten wollte, für die ich sonst aber keine Zeit hatte.“ Ein Nebenprojekt mit täglichem Versand von Fotos stoß auf große Resonanz und entwickelte sich zu einem ganzen Buch.
Auch für Horst Wendland ist die Arbeit an seinen Skulpturen nicht von Corona beeinträchtigt, in seiner Tätigkeit als Karikaturist hingegen sei Covid-19 Dauerthema, die Nachfrage nach Corona-Karikaturen sehr hoch: „Da habe ich bei den Skulpturen keine Lust, das Thema auch noch zu verarbeiten. Wer würde sich auch eine Covid-Skulptur ins Wohnzimmer stellen?“
Das weitere Ausbleiben neuer Ausstellungen könnte allerdings auch für Wendland zum Problem werden. In der MEWO Kunsthalle Memmingen seien bislang die Ausstellungen so lange verlängert worden, dass sie trotz der zwischenzeitlichen Schließungen besucht werden konnten, berichtet deren Leiter, Dr. Axel Lapp. Durch Beschränkungen auf Einzelpersonen und Notwendigkeiten der Terminvergabe erreiche man allerdings ausschließlich ein bereits vertrautes Stammpublikum.
Alle Beschäftigten der Kulturbranche eint derzeit wohl die Hoffnung, mit Hygienekonzepten und Modellprojekten wie in Tübingen bald wieder Veranstaltungen durchführen zu können. Mehrfach wird auf dem Podium auf Studien verwiesen, die für Kulturveranstaltungen lediglich ein geringes Infektionsrisiko festgestellt haben – und das entsprechende Konzepte längst erarbeitet sind und umgesetzt werden könnten. Johanna Langer fasst zusammen: „Wir stehen alle in den Startlöchern und wollen zurück auf die Bühne!“
Dr. Kathrin Mädler verweist auch auf den Verfassungsrang von Kunst und Kultur, demzufolge Kulturinstitutionen ebenso wie Kirchen von pauschalen Schließungen ausgenommen sein sollten. Sie fordert differenzierte Öffnungskonzepte und dass die Kunst in der Systemrelevanz-Debatte weiterhin wieder verstärkt im Fokus bleiben solle. Die Verhältnismäßigkeit der Schließungen müsse geprüft werden, erklärt Jürgen Brennich im Hinblick auf Initiativen wie Aufstehen für die Kunst, die auch juristisch gegen Schließungen vorgehen: „Es bleibt fast kein anderer Weg mehr, als diesen Weg zu beschreiten.“ Allerdings solle die erste Priorität auf den Schulen liegen. Bislang gibt es für die geplanten Testkonzepte nicht ausreichend Tests.
Zur Vorsicht mahnt Dr. Axel Lapp. Bei einer sich derzeit anbahnenden Katastrophe sei es allerdings wichtig, dass nicht nur die Kunsthalle, sondern auch andere Bereiche geschlossen werden. In der gesamten Podiumsdiskussion der GRÜNEN kreist die Debatte um das Thema, welchen Stellenwert die Gesellschaft der Kunst und der Kultur beimisst. So stellt Jürgen Brennich zusammenfassend fest: „Wir müssen uns gemeinsam dagegen sträuben, dass Kunst als schmückendes Beiwerk gilt, das einfach abgesagt werden kann!“